allgemeine Publikationen
Adam, Ursula | Vom Bundesschützenhaus zur Jugendfreizeitstätte 1909-1999, Bodoni-Museum, 1999 |
Bärthel, Hilmar | Wie der Berliner Osten städtischen Charakter bekam, MAZZ-Verlag, Berlin 1998 |
Herrmann, Lothar | Denkmale und Denkmalschutz im Bezirk Hellersdorf, MAZZ-Verlag, Berlin 1997 |
Kintscher, Harald | Mahlsdorf- aus seiner Geschichte (2.Auflage), MAZZ-Verlag, Berlin 2000 |
Maether, Bernd | Schloß Biesdorf Reihe: Der historische Ort, Nr 42, Homilius-Verlag, 2002 |
Müller, Sylvia | Evangelische Dorfkirche Berlin-Kaulsdorf, Schnell & Steiner, 1997 |
Neubauer,Alfred | Das süße Salz. F:C:Achard und der Rübenzucker, MAZZ-Verlag, Berlin 1994 |
Marzahn 700 Jahre - Chronik eines Festjahres, MAZZ-Verlag, Berlin 2001 | |
Berlin-Hellersdorf 1986 - 1996 Festschrift, MAZZ-Verlag, Berlin 1996 | |
Kaulsdorf 1347-1997 Festschrift, MAZZ-Verlag, Berlin 1998 | |
Mahlsdorf 1345-1995; Festschrift, MAZZ-Verlag, Berlin 1995 | |
100 Jahre Siedlungsgebiete, Geschichte und Zukunft, Lokal-Verlag, Berlin 2003 | |
Biesdorf 625 Jahre- Chronik eines Festjahres, MAZZ-Verlag, Berlin 2000 |
Hellersdorfer Heimatbriefe
Dieter Winkler | Kaulsdorf- aus seiner Geschichte, Heimatverein, Berlin 1992 |
Harald Kintscher | Mahlsdorf- aus seiner Geschichte |
Winkler, Carolina | Hellersdorf- aus seiner Geschichte, MAZZ-Verlag, Berlin 1996 |
Satke, Karin | Auf den Spuren der Ortsgeschichte, MAZZ-Verlag, Berlin 1998 |
Chroniktafel zum Denkmalensemble Angerdorf Kaulsdorf | |
Gaedecke, Andre | Chroniktafel Hellersdorf 625 Jahre |
Kintscher, Harald | Chroniktafel Mahlsdorf |
Hellersdorfer Heimathefte
Heimatheft 1 Symposium |
Heinrich Grüber und die Folgen, 1992 |
Heimatheft 2 Zech, Hermann |
Straßen im Bezirk Hellersdorf, 1992 |
Heimatheft 3 Symposium |
Louis Lewin. Leben - Werk - Wirkung, 1993 |
Heimatheft 4 | Zur Schulgeschichte im Bezirk |
Heimatheft 5 Neubauer,Alfred |
Das süße Salz. Francois Charles Achard und der Rübenzucker, Hellersdorfer Heimathefte 5, 1994 |
Heimatheft 6 | Denkmale und Denkmalschutz im Bezirk Hellersdorf von Berlin, 1997 |
Heimatheft 7 | Wie der Berliner Osten städtischen Charakter bekam, 1998 |
Heimatheft 8 | Verfolgung und Widerstand in Berlin Hellersdorf 1933 - 1945, 1998 |
Heimatheft 9 | Extremismus und Jugendgewalt in den 90er Jahren, 1999 |
Heimatheft 10 | Vom Bundesschützenhaus zur Jugendfreizeitstätte. 1909 - 1999, 1999 |
Heimatheft 11 | Zehn Jahre Heimatverein Hellersdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf. 1991 - 2001, 2001 |
Beiträge zur Regionalgeschichte
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Beiträge zur Regionalgeschichte
Jahrbuch 2022/2023
Nr. 4 Historisches Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2022/2023
Inhalt
Wolfgang Brauer
Vorwort
Frank Holzmann
Schloss Biesdorf als Begegnungsort, Ort des Austausches und der Netzwerkpflege
der Familie von Siemens
Karl-Heinz Gärtner
Auf den Spuren der vergangenen Villen-Kolonien im heutigen Bezirk Marzahn-Hellersdorf.
Eine Spurensuche in Biesdorf
Kuno Göing
Das Theodor-Fliedner-Heim – Evangelische Kirche in Mahlsdorf-Süd
Christa Hübner / Dorothee Ifland
Das Lager Kaulsdorfer Strasse 90
Klaus-Dieter Felsmann
Marzahn im Spielfilm. Künstlerische Reflexionen einer Großsiedlung
Karl-Heinz Gärtner
Siedlungstätigkeit in der Gemarkung Marzahn nach 1900
Renate Schilling
Zur Geschichte der LPG Marzahn – die ersten 10 Jahre
Dagmar Pohle
Neue Sichten auf Marzahn – Zur Bezirksgründung
Monika Rank
„…Nicht Luxuswohnungen für wenige, sondern gute Wohnungen für alle…“
Wolf R. Eisentraut
Zentrum Marzahn – Ein Drama in vier Akten
Martin Schönfeld
Komplexe Umweltgestaltung im Stadtteil Biesdorf-Marzahn (1975 bis 1991)
Karl-Heinz Gärtner
Zur Postgeschichte von Berlin-Kaulsdorf
Wolfgang Brauer
Chronik 2021
Wolfgang Brauer
Chronik 2022
Abbildungsverzeichnis
Autorinnen und Autoren
Vorwort
Vor Ihnen liegt die Frucht heimatgeschichtlicher Bemühungen zweier Jahre. Wir mussten leider die Arbeit am „Historischen Jahrbuch 2022“ abbrechen, da uns aufgrund des plötzlichen Ausfalls mehrerer Referenten im Herbst 2022 die Durchführung unseres alljährlichen „Tags der Regional- und Heimatgeschichte“ mit dem Schwerpunktthema Ortsteilgeschichte von Biesdorf nicht möglich war. Diese Veranstaltung sollte sich eigentlich in die Konferenzreihe des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf e.V. zur Vorbereitung der bevorstehenden Ortsteiljubiläen einreihen. Biesdorf ist urkundlich erstmals durch einen Eintrag im Landbuch Kaiser Karls IV. 1375 nachweisbar. Das Dorf ist sicher älter, zumal der Ort an der wichtigen Ost-West-Trasse des Reiches lag – und durch die B1/B5 zum Leidwesen der Anrainer immer noch liegt. Aber für Historiker sind für genauere Datierungen die schriftlichen Zeugnisse wesentlich. Auch Biesdorf bekam regelmäßig die Folgen der kriegerischen Ereignisse in unserer an solch blutigem Geschehen weißgott nicht armen Region zu spüren. Die „normalen“ Brand- und Schadensereignisse trugen das Ihrige bei. Da ging sehr viel unwiderbringlich verloren.
Daher haben wir uns zu diesem Doppelband entschlossen.
Die beiden „Biesdorf-Beiträge“ in diesem Buch beschränken sich allerdings auf das, was auch Durchreisenden sofort augenscheinlich sein wird. Da ist zum einen das noch immer einen ganz eigenen Charakter zwischen Dorf und Großstadt tragende Siedlungsgebiet Biesdorf, deutlich von der Trasse der ehemaligen Ostbahn – heute dominiert von der zweigleisigen Strecke der S5 – und der erwähnten stauträchtigen Bundesstraße in „Nord“ und „Süd“ zerschnitten. Karl-Heinz Gärtner widmet sich sehr detailliert der Geschichte dieser „Villen-Kolonien“, wobei der Begriff oftmals mehr dem seinerzeitigen Investorenwunsch als der gebauten Realität entsprach. Dennoch entstand in den letzten Jahren der wilhelminischen Zeit eine Siedlungsstruktur, die bis auf den heutigen Tag ihre Lebensfähigkeit unter Beweis stellt und Groß-Investorenbegehrlichkeiten bislang noch trotzte.
Frank Holzmann widmet sich weniger baugeschichtlichen Fragen. Er untersucht hauptsächlich auf der Grundlage des im Manuskript erhalten gebliebenen, bislang nicht publizierten Tagebuchs des Unternehmers Wilhelm von Siemens, wie die weit verzweigte Industriellenfamilie von Siemens die baulich vergleichsweise bescheidene Turmvilla vis-à-vis der Dorfkirche von Alt-Biesdorf nicht nur als Wohn- und Erholungsort, sondern zugleich als Ort einer sehr exzessiv betriebenen produktiven Netzwerkpflege nutzte. Wer einigermaßen vertraut ist mit Entscheidungsfindungen hochkarätiger Natur weiß, dass diese oft nicht am Konferenztisch vorbereitet werden, sondern eher am Spiel- oder Rauchtisch nach dem „offiziellen“ Diner. Das Schloss Biesdorf war ein solcher Ort. Frank Holzmann blättert so eine Firmengeschichte des „Hauses Siemens“ ganz eigener Art auf.
Zweites Schwerpunktthema dieses Buches sind Aspekte der Ortsteilgeschichte von Marzahn – vor der 2001 vorgenommenen Fusion mit dem Bezirk Hellersdorf (der seinerseits erst 1986 aus dem damaligen Stadtbezirk Marzahn ausgegliedert worden war). Wir publizieren hier die Textfassungen der Beiträge des „Tags der Regional- und Heimatgeschichte 2023“ des Heimatvereins, der am 21. Oktober 2023 im Bezirklichen Informationszentrum (BIZ) stattfand. Auch Marzahn könnte 2025 ein Jubiläum begehen. Die erste urkundliche Erwähnung als „Morczane“ geschah auf einer Besitzbestätigungsurkunde des brandenburgischen Markgrafen Albrecht III. für das Kloster Friedland. Die Zisterzienserinnen besaßen in Marzahn Land. 1375 taucht der Name des Dorfes im erwähnten Landbuch wieder auf. Der Bezirk könnte also ein Doppeljubiläum feiern.
Nun ist das Wort „Marzahn“ für viele weniger mit einem beschaulichen Bauerndorf verbunden. Auch im aufwändig sanierten, teils rekonstruierten, Alt-Marzahn ist die Agrarwirtschaft allenfalls noch in Spurenelementen nachweisbar. Die „Platte“ dominiert das öffentliche Bild. Und dieses Bild ist selbst für viele Berlinerinnen und Berliner mediengeprägt. Der Filmpublizist Klaus-Dieter Felsmann hat sich auf die Spur der Geschichte solcher Prägungen begeben. Er untersucht in seinem Beitrag die künstlerischen Reflexionen der Großsiedlung im Spielfilm vor und nach der „Wende“. Seine Untersuchungen kommen zu bemerkenswerten Ergebnissen. Nicht zuletzt, weil offenbar für den Film dasselbe gilt wie für andere Kunstgattungen auch: Das Werk ist oftmals „klüger“ als der Künstler selbst. „Das Poetische [...] hat immer recht; es wächst weit über das Historische hinaus“, lässt diese Erkenntnis Theodor Fontane, der Übervater der märkischen Regionalgeschichte, von seinem Gymnasialprofessor Willibald Schmidt im Roman „Frau Jenny Treibel“ auf den Punkt bringen. Und dass gute Filmkunst selbst über den infolge einer Zeitenwende sondergleichen weggebrochenen Entstehungsanlass wirkt, macht der Autor nicht nur an Herrmann Zschoches „Insel der Schwäne“ deutlich.
In seinem zweiten Beitrag berichtet Karl-Heinz Gärtner über die Siedlungstätigkeit von der Zeit um 1910 bis in die 1930er Jahre rund um das Dorf Marzahn. Diese Siedlungen sind heute – wenngleich vielfach noch zu großen Teilen erhalten – schwieriger identifizierbar. Die Großsiedlung und aufwändige Infrastrukturbauten haben sie förmlich „in die Zange“ genommen. Mit Blick auf das Schicksal dieser – von den Erbauern mit großen Hoffnungen in Angriff genommenen – Siedlungsprojekte stellen sich durchaus Fragen an das Heute, zum Beispiel hinsichtlich der „Kollateralschäden“ aktuell geplanter großer Verkehrsbauten im Bezirk. Die scheinbar kleinen Dinge der lokalen Geschichtsschreibung sind eben so klein nicht. „Das Nebensächliche, so viel ist richtig, gilt nichts, wenn es blos nebensächlich ist, wenn nichts drin steckt. Steckt aber was drin, dann ist es die Hauptsache, denn es giebt einem dann immer das eigentlich Menschliche.“ Das meint jedenfalls Fontanes Willibald Schmidt – und ich gebe ihm recht.
Auf ein fast vergessenes, aber äußerst spannendes Kapitel der Geschichte Marzahns macht Renate Schilling aufmerksam. Am 1. März 1953 wurde hier die erste Ostberliner LPG gegründet. Die „Neue Ordnung“ bestand bis 1965, erlebte aber in anderer Form und unter anderem Namen noch das Jahr 1990. Das ist ein Kapitel Geschichte, das noch geschrieben werden muss. Renate Schillings Blick in die 1950er Jahre wird sicher Vielen bislang Nicht-Gewusstes bringen. 2021 war die Berliner Polizei in Biesdorf Bauherrin eines Schießstandes, 1957/1958 baute sie in Marzahn zwei Rinder-Offenställe...
Dagmar Pohle – viele Jahre im Bezirk in kommunalpolitischer Verantwortung – unternimmt mit ihrem Beitrag den Versuch, die „Gründerzeit“ des Bezirks in die großen politischen Zusammenhänge jener Jahre einzuordnen. Es war eben nicht politische Willkür, die mal eben so eine neue Großstadt aus dem Boden stampfte, sondern aus der Geschichte geborene bittere Notwendigkeit. Die Autorin legt eine überaus erfolgreiche Gesamtbilanz vor, verweist aber auch auf etliche nach wie vor virulente Probleme. Dass die heutige Weltmetropole Berlin noch immer Schwierigkeiten im Umgang mit der seinerzeit von Politikern westberliner Provenienz nur mit der Kohlenzange angefassten Großsiedlung hat, macht – Dagmar Pohle weist darauf hin – der inzwischen nur noch als beschämend zu nennende Umgang mit dem Neuen Rathaus am Marzahner Helene-Weigel-Platz sinnbildlich erfahrbar. In der Großsiedlung Marzahn-Hellersdorf wurden bis zum Ende der DDR 102.447 Wohnungen gebaut. Um den aktuellen Wohnungsbedarf der Bundeshauptstadt auch nur ansatzweise zu befriedigen müsste diese Großsiedlung – zuzüglich des Bestandes von Neu-Hohenschönhausen – komplett noch einmal errichtet werden.
In der von Klaus-Dieter Felsmann vorgestellten Fernsehproduktion „Einzug ins Paradies“ nach dem Roman Hans Webers wird deutlich, dass mit der Übergabe der Wohnungsschlüssel zur damals als „Vollkomfortwohnung“ bezeichneten Neubauwohnung noch lange nicht das Paradies ausgebrochen war. „Eine Stadt wird solange fortgeschrieben, wie ihre Bewohnerinnen und Bewohner sie mit Leben füllen“, meint Dagmar Pohle. Wie die neue Stadt zu leben begann, darüber berichtet Monika Rank in ihrem Beitrag. Und sie macht deutlich, dass die Großsiedlung von Anfang an mehr war, als nur eine Ansammlung von „Arbeiterschließfächern“, wie ihre Gegner sie immer wieder bezeichneten und bezeichnen. Wer sich nur ein wenig mit der Geschichte der europäischen Stadt beschäftigt wird rasch bemerken, dass die Kommunen mitunter Jahrhunderte brauchten, um die Lebensqualität zu erreichen, die sie heute auszeichnet. In Marzahn musste das entschieden schneller gehen. Monika Rank berichtet eindrucksvoll über das Gelingen in diesem Prozess – spart aber auch das Scheitern in einigen Aspekten der städtischen Infrastrukturentwicklung nicht aus.
So ist in Marzahn das Phänomen zu verzeichnen, dass es ein eigentliches „Zentrum“ nicht gibt. Was sich derzeit im Bezirk als „Zentren“ gebärdet, sind mehr oder weniger PR-bedingte Mogelpackungen, die in sich zusammensacken, wenn ihr Gravitationsschwerpunkt – zumeist ein kleineres Einkaufs-„Zentrum“ – aus wirtschaftlichen Gründen ausfällt. Dennoch gab es einmal Pläne zur Entwicklung eines großzügig gedachten, architektonisch ambitionierten Stadtbezirkszentrums. Der Architekt Wolf R. Eisentraut berichtet in seinem Beitrag über die Entwicklung und bauliche Umsetzung dieses Projektes entlang der Marzahner Promenade zwischen S-Bahnhof Marzahn und dem Freizeitforum südlich der heutigen Raoul-Wallenberg-Straße. Am Rande sei vermerkt, dass dieses nicht als Solitär inmitten einer „Platten-Wüste“ gedacht war, sondern sich organisch in den neu entstehenden Stadtraum einbetten sollte. Trotz aller zuvörderst ökonomischen Zwängen, aber auch politischer Kleingeisterei, geschuldeten Eingriffe „von oben“ entstand bis zum Ende der DDR ein von den Bewohnern des Bezirkes durchaus angenommener großer städtebaulicher Wurf. Von diesem ist inzwischen nur noch mehr zu erahnen als zu sehen. Wolf R. Eisentrauts Beitrag ist ein Plädoyer für einen entschieden verantwortungsbewussteren Umgang mit dem baulichen Erbe des letzten Drittels des 20. Jahrunderts.
In solch einem Zusammenhang muss man auch den Beitrag des Kunstwissenschaftlers Martin Schönfeld lesen, der mit Bitternis feststellt, dass rund 56 Prozent der einstmals in der Großsiedlung Marzahn vorhandenen Kunstwerke einer mehr oder weniger bewusst vorgenommenen Zerstörung zum Opfer fielen. Martin Schönfeld weist nach, dass sich deren Geschichte mitnichten auf die vielerorts vorgenommene „Aufhübschung“ eines tristen Wohnumfeldes durch eine irgendwie vorgenomme Platzierung von Kunst reduzieren lässt. Vielmehr ging es in Marzahn von Anfang an um einen Prozess der komplexen Umweltgestaltung einer neuen Stadtstruktur, in dem der Kunst eine tragende Rolle zukam. Damit steht Marzahn in einer stadtentwicklungsgeschichtlichen Traditionslinie, die sich bis zu den Ideenfindungen des Dessauer Bauhauses zurückverfolgen lässt. Der Autor macht darauf aufmerksam, dass dies kein nur ein beim Aufbau Marzahns entwickelter Gedanke war. Auch in der alten Bundesrepublik wurde zum Beispiel von der Ulmer Hochschule für Gestaltung dieser ganzheitliche Ansatz gepflegt. Nur: in Marzahn wurde er umgesetzt. Auch Schönfeld endet mit einem Plädoyer: „Der Begriff Umweltgestaltung und seine Umsetzung in der Entstehungszeit der Großsiedlung Marzahn trägt uns vor diesem Hintergrund ein aktuelles und vielfältiges Vermächtnis auf.“
2019 trafen die Herausgeber die Entscheidung, nach 15 Bänden „Beiträge zur Regionalgeschichte“ diese Reihe einzustellen und statt dessen zur Form des nunmehr vorliegenden Jahrbuches überzugehen. Grund war eine bewusst angestrebte größere Themenvielfalt, als sie durch Konferenzdokumentationen möglich ist. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. / Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!“ Goethes Erkenntnis aus dem „Vorspiel auf dem Theater“ aus dem „Faust“ gilt nicht nur für die Bühne.
So war es uns möglich, Kuno Göings Beitrag über die Geschichte des Theodor-Fliedner-Heims in Mahlsdorf-Süd zu publizieren. Neben der Bedeutung dieser Einrichtung als wichtiges Zentrum kirchlicher Sozial- und Kulturarbeit ist die Kirche an der Schrobsdorffstraße 35-36 auch ein einzigartiges Kulturdenkmal. Sie ist eines der wenigen, aus seiner Entstehungszeit bis in das kleinste Ausstattungsdetail noch fast vollständig erhaltenen Zeugnisse des Heimatschutzstils, der ab ca. 1904 bis in die 1960er Jahre das Gesicht vieler Städte und Gemeinden in West wie Ost prägte. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Eine nationalsozialistische Erfindung ist diese Strömung der architektonischen Moderne nicht.
Besonders froh sind die Herausgeber, dass es der Direktorin unseres Bezirksmuseums Dorothee Ifland gelungen ist, den schon 2022 von ihr gemeinsam mit Christa Hübner geplanten Beitrag über das Lager Kaulsdorfer Straße 90 fertigzustellen. Dieses am Ufer der Wuhle gelegene Lager hat eine wechselvolle Geschichte als Auffanglager für Wolhynien-Deutsche, Kriegsgefangenenlager nach dem Überfall auf Frankreich und letztendlich als Zwangsarbeiterlager der Reichsbahndirektion Berlin bis zum April 1945 hinter sich. Die Autorinnen spüren der Geschichte dieses Ortes des Schreckens detailgenau nach – und sparen auch die Entwicklungen nach 1945 nicht aus. Immerhin ist es gelungen, die Erinnerung an das Lager in Form einer Stelen-Aussstellung seit dem 30. April 2013 am Wuhlewanderweg sichtbar zu machen. Dieser Beitrag liefert die zum Verstehen des historischen Ortes notwendigen Hintergrundinformationen. Er ist zudem die letzte Arbeit unserer am 20. Dezember 2022 verstorbenen Stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Christa Hübner. Wir wollen mit dieser Veröffentlichung der verdienstvollen Historikerin auch einen letzten Dank abstatten.
Am Ende dieses Bandes stehen drei Beiträge, die jeweils einen Faden der letzten Jahrbücher weiterspinnen. Nachdem Karl-Heinz Gärtner 2020 über die Postgeschichte Mahlsdorfs informierte, widmet er sich nun der Geschichte der Kaulsdorfer Post. Sein Aufsatz dürfte nicht nur Philatelisten interessieren und zum Nachdenken anregen. Abgerundet wird die Publikation durch die von Wolfgang Brauer zusammengestellten Chroniken des bezirklichen Geschehens der Jahre 2021 und 2022. Sicher werden diese bei dem Einen oder Anderen die Frage aufwerfen, warum dieses oder jenes Ereignis nicht auch aufgenommen wurde... Die Antwort ist einfach: Die Grenzen, die die Seitenzahl zog, zwingen in solchem Falle immer zur Auswahl.
Spätestens hier ist der Appell an alle Leserinnen und Leser zu richten: Die Herausgeber und Autoren sind für Hinweise, Ergänzungen und Kritiken jeder Art dankbar! Sie helfen uns damit, das sich bereits in der Erarbeitung befindliche „Historische Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2024“ noch besser zu machen.
Neben den Autorinnen und Autoren möchte ich an dieser Stelle allen Persönlichkeiten und Institutionen Dank sagen, die uns die Nutzung ihrer Bildquellen gestatteten. Mein Dank gilt dem Redaktionsteam und allen, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen, besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bezirksmuseums unter der Leitung von Dorothee Ilfland. Waldemar-Vincenty Seifert danken wir für die wie immer ausgezeichnete Gestaltung. Wir danken dem Senator für Kulturelle Angelegenheiten und dem Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf für die Unterstützung unseres Projektes mit Mitteln des Bezirkskulturfonds des Landes Berlin.
Ich wünsche Ihnen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre!
Wolfgang Brauer
Vorsitzender des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf e.V.
Berlin-Biesdorf, am 8. Dezember 2023
Jahrbuch 2021
Nr. 3 Historisches Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2021
Inhalt
Wolfgang Brauer
Vorwort
Juliane Witt (Bezirksstadträtin für Kultur)
Heimat und Geschichtskultur brauchen neue Partnerschaften - Grußwort zum „Tag der Regional- und Heimatgeschichte“ 2021
Joachim Klee
675 Jahre Kaulsdorfer Kirchengeschichte. Ein Überblick
Christa Hübner
Kaulsdorf in den ersten Jahrhunderten nach seiner Gründung
Karl-Heinz Gärtner
Kaulsdorfer Gaststätten Geschichte(n)
Karin Satke
Von der Wilhelmstraße zum Mädewalder Weg als Beispiel der Besiedlung von Kaulsdorf-Mitte
Wolfgang Bauer
„Zur freundlichen Erinnerung ...“. Ein Fotoalbum Hans Füssels für seinen Mitarbeiter Willi Wolf
Monika Rank
Kaulsdorf in den 1970er-Jahren
Christa Hübner
Licht und Auge der Mark. Dem brandenburgischen Kanzler und Mahlsdorfer Dorfherrn Lampert Distelmeyer zum 500. Geburtstag
Frank-Burkhard Habel
Peter Edel - Antifaschist, Grafiker, Schriftsteller
Erika Rossner
Der Illustratorin Ingeborg Meyer-Rey zum 100. Geburtstag
Ina Iske-Schwaen
Kurt Schwaen: „Ich wohne nicht in Berlin, ich wohne in Mahlsdorf“
Karl-Heinz Gärtner
Kinos in Biesdorf
Wolfgang Brauer
Chronik 2020
Abbildungsnachweis
Autorinnen und Autoren
Vorwort
Der dritte Band unseres „Historischen Jahrbuches“ entstand unter besonderen Bedingungen. Bereits das Jahr 2020 – in der „Chronik 2020“ am Ende dieses Buches finden sich zahlreiche Belege – war von der Corona-Pandemie geprägt. In unserem Bezirk wurden allein bis zum 31. Dezember 2020 4.937 Infektionen mit dem Sars-COVID-19-Virus registriert.[1] Die im Zusammenhang mit der Pandemie-Bekämpfung erfolgten Maßnahmen wie Bibliotheks- und Archivschließungen und der danach zumindest für die Archivnutzung beschränkte Zugang erschwerten und erschweren auch regionalwissenschaftliches Arbeiten erheblich. Dazu kamen vielfältige Einschränkungen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Zahlreiche geplante Veranstaltungen und Ausstellungen konnten nicht stattfinden. Die auch für dieses Jahrbuch vorgesehene Ausstellungsübersicht für das Jahr 2020 hatte sich damit erübrigt. Die wenigen Expositionen, die dennoch zumindest eröffneten, teilweise aber nur wenige Tage zugänglich waren, werden wir daher im nächsten Jahrgang berücksichtigen.
Angesichts dieser schwierigen Bedingungen möchte ich seitens der Herausgeber allen Beiträgerinnen und Beiträgern unseren Dank dafür aussprechen, dass sie es geschafft haben, uns ihre – wie ich finde – gewichtigen Wortmeldungen in Sachen Regional- und Heimatgeschichte zur Verfügung zu stellen.
Inhaltlicher Schwerpunkt auch dieses Bandes sind wieder die des „Tages der Regional- und Heimatgeschichte“ unseres Vereins, der am 30. Oktober 2021 in der Jesuskirche Kaulsdorf, wenn auch unter eingeschränkten Pandemiebedingungen, stattfinden konnte. Der Tagungsort wurde von uns bewusst gewählt, die Konferenz stand unter dem Titel „675 Jahre Kaulsdorf“. Der Jahrestag der urkundlichen Ersterwähnung fällt zwar erst auf den 6. Dezember 2022, aber diese Konferenz und die vorliegende Publikation sollen historisch interessierten Leserinnen und Lesern Zugänge zur Geschichte des heutigen Ortsteiles unseres Bezirkes noch vor dem eigentlichen Jubiläum auf dem aktuellen Forschungsstand ermöglichen. Vermittelt unsere Publikation den kommunalpolitischen Akteuren des Bezirkes zudem Anregungen, diesem Jubiläum ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als dies Mahlsdorf im Jahre 2020[2] widerfuhr, so liegt das in unserer Absicht.
In ihrem Grußwort zum erwähnten „Tag der Regional- und Heimatgeschichte“ weist Frau Bezirksstadträtin Juliane Witt nicht nur auf diesen Zusammenhang zwischen Heimatgeschichtsarbeit und Kommunalpolitik nachdrücklich hin. Besonderes Augenmerk richtet sie auf diverse Aspekte der Gedenkkultur. Joachim Klee berichtet über „675 Jahre Kaulsdorfer Kirchengeschichte“ – vorzüglich über die Bau- und Ausstattungsgeschichte des Kaulsdorfer Gotteshauses. Dass diese immer im Spannungsfeld zwischen den Möglichkeiten der Dorfgemeinschaft und der Finanzierungsbereitschaft der jeweiligen Patronatsherren lag, macht er auf beeindruckende Weise deutlich. Alle brandenburgischen Gemeinden hatten bis in die jüngste Zeit unter den ständig die Mark verzehrenden Kriegen zu leiden. Für Kaulsdorf und seine Kirche – das betraf in ähnlichem Maße auch Mahlsdorf und Biesdorf – machte sich in dieser Frage die unmittelbare Lage an der Heerstraße zwischen Berlin und Küstrin besonders ungünstig bemerkbar. Christa Hübner schildert dies detailreich in ihrem Beitrag über „Kaulsdorf in den ersten Jahrhunderten nach seiner Gründung“ am Schicksal des Ortes in den Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges, der in unserer Region sich zwar nicht durch große Schlachten bemerkbar machte, sie aber dennoch nachhaltig verwüstete. Schwerpunkt ihres Aufsatzes ist aber nach der Gründungsphase des Ortes – über die nur spärliche Quellen vorliegen – die Zeit des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Ihr gelingt eine eindrucksvolle Darstellung des bäuerlichen Lebens und der häufig wechselnden Besitzverhältnisse, die Kaulsdorf durchaus immer wieder in eine enge Wechselbeziehung mit der „großen“ berlin-brandenburgischen Geschichte brachten. Zu den strukturellen Konstanten unserer Dörfer gehörte neben der Kirche immer ein mit Schankrechten versehener Hof, der „Krug“. Zumal, wenn der Ort an einer so wichtigen Handelsstraße, wie der heutigen B 1/B 5 liegt. Karl-Heinz Gärtner erzählt in seinem Beitrag „Kaulsdorfer Gaststätten Geschichte(n)“ von einigen der vor 1945 immerhin rund 40 existierenden Lokalitäten. Auch sein Beitrag hat durchaus kommunalpolitische Dimensionen: Stirbt die Gastronomie ab, ist der Niedergang eines Gemeinwesens programmiert. Karin Satke hingegen untersucht die Geschichte des Mädewalder Weges – und kommt dabei interessanten Geschehnissen der Entwicklung von Wohnungsbau, Einzelhandel und Handwerk in Kaulsdorf auf die Spur.
Wolfgang Brauer schildert anhand eines Fotoalbums, das der Kaulsdorfer Bronzegießer Hans Füssel für seinen ebenfalls in Kaulsdorf ansässigen Mitarbeiter Willi Wolf angefertigt hatte, die Ereignisse um den Abbau des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals 1949/1950, der den Abriss des Schlosses einleiten sollte. Monika Rank beschließt diesen Komplex mit einem Überblick der Entwicklung Kaulsdorfs in den 1970er Jahren. Viele halten dieses Jahrzehnt für „ereignisarm“. Rank kann nachweisen, dass dem nicht so war. Zudem entsteht in dieser Zeit das immer noch virulente Spannungsfeld zwischen der damals noch in den Anfängen ihrer Bauphase steckenden Großsiedlung und dem Dorf sowie den dieses umgebenden Siedlungsarealen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Ein zweiter großer Komplex der Beiträge des vorliegenden Bandes befasst sich mit Persönlichkeiten, die auf direkte oder auch nur indirekte Weise mit der Geschichte unseres Bezirkes verbunden sind. Am 22. Februar 2022 könnte Berlin ein wichtiges Jubiläum begehen: den 500. Geburtstag des kurbrandenburgischen Kanzlers Lampert Distelmeyer. Christa Hübner erzählt die Biografie dieses für die Mark in einer schwierigen Zeit wirkenden Politikers, der unter zwei Kurfürsten, Joachim II. und Johann Georg, diente und – für uns bedeutsam – Dorf- und Gutsherr von Mahlsdorf war. Distelmeyers Bedeutung macht sich auch daran deutlich, dass das Erbbegräbnis der Familie die Jahrhunderte in der Nikolaikirche in Berlin-Mitte überdauert hat. Ich weiß nicht, ob der Schriftsteller und Grafiker Peter Edel jemals unseren Bezirk besucht hat. In Hellersdorf ist aber eine Straße seit 1986 nach ihm benannt, und viele Einwohner unseres Bezirkes schätzen ihn und sein Werk. Das war dem Heimatverein Grund genug, anlässlich des 100. Geburtstages Edels am 12. Juli 2021 eine Festveranstaltung ihm zu Ehren abzuhalten. Den in unserem Jahrbuch dokumentierten Festvortrag hielt der Filmwissenschaftler und Publizist Frank-Burkhardt Habel.
Zwei Beiträge gehen auf Sonderausstellungen des Bezirksmuseums zurück. Vom 22. März bis zum 24. September 2021 zeigte es anlässlich des 100. Geburtstages von Ingeborg Meyer-Rey eine bemerkenswerte Sonderausstellung. Die Mahlsdorferin Ingeborg Meyer-Rey dürfte zumindest allen in der DDR Aufgewachsenen vertraut sein: Sie ist die künstlerische „Mutter“ der Bummi-Figur und zudem die Schöpferin einer Vielzahl von Kinderbüchern, die sich noch immer deutschlandweiter Beliebtheit erfreuen. Die Kuratorin der Ausstellung, Erika Rossner, zeichnet ein liebevolles Porträt der Künstlerin. Ina Iske-Schwaen, die Leiterin des Kurt-Schwaen-Archivs und langjährige Lebensgefährtin des in Mahlsdorf ansässigen Komponisten, stellte uns einen biografischen Text über Kurt Schwaen zur Verfügung, der sicherlich für Viele Unbekanntes und Überraschendes bietet und hoffentlich Lust bereitet, sich wieder einmal Schwaenschen Kompositionen zu nähern. Auch hier war uns eine Sonderausstellung unseres Museums[3] über Kurt Schwaen Anlass Ina Iske-Schwaen um einen Beitrag zu bitten.
Wie die bisherigen Ausgaben unseres Jahrbuches rundet auch diese eine Chronik der Ereignisse des zurückliegenden Jahres ab. Wir haben uns bemüht, das Leben in Marzahn-Hellersdorf in möglichst vielen Facetten darzustellen. Jede Auswahl bedeutet auch ein Weglassen. Sollten wir Wesentliches vergessen habe, wären wir für korrigierende Hinweise dankbar. Dankbar wären wir auch für Bild- und Textangebote für das „Historische Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2022“, mit dessen Vorbereitungen wir bereits begonnen haben.
Neben den Autorinnen und Autoren möchte ich an dieser Stelle allen Persönlichkeiten und Institutionen Dank sagen, die uns die Nutzung ihrer Bildquellen gestatteten. Mein Dank gebührt dem Redaktionsteam und allen, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen, besonders den Mitarbeiterinnen des Bezirksmuseums. Waldemar-Vincenty Seifert danken wir für die wie immer ausgezeichnete Gestaltung. Wir danken dem Senator für Kulturelle Angelegenheiten und dem Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf für die Unterstützung unseres Projektes mit Mitteln des Bezirkskulturfonds des Landes Berlin.
Ich wünsche Ihnen allen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre!
Wolfgang Brauer
Vorsitzender des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf e.V.
Berlin-Biesdorf, am 3. Dezember 2021
[1]Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf. Jahrespressegespräch 26. Januar 2021, S. 13. [2]Vgl. die Beiträge zur Mahlsdorf-Geschichte in: Historisches Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2019, Heimatverein Marzahn-Hellersdorf e.V. 2019. [3]„Wer möchte nicht im Leben bleiben ...“ Der Komponist Kurt Schwaen, Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf (Haus 1), 15. August 2021 bis 22. April 2022.
Jahrbuch 2020
Nr.2 Historisches Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2020
Inhalt
Wolfgang Brauer
Vorwort
Dagmar Pohle
Marzahn-Hellersdorf im Spannungsfeld der Berliner Bezirke
Wolf. R. Eisentraut
Weit im Osten und doch mittendrin
Karin Satke
100 Jahre Groß-Berlin. Vom Zweckverband nach Groß-Berlin 1911 bis 1920
Christa Hübner/Dorothee Ifland
Der Eingemeindungsprozess in Marzahn-Hellersdorf 1919 bis Mitte der 1920er-Jahre
Monika Rank
Neues und Modernes am Rande der Stadt. Ein Blick auf die Ortsteile unseres Bezirks in den 1920er-Jahren
Constanze Lindemann
Älter als 100 Jahre. Die Rolle und Entwicklung der „Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten“ im Rahmen der Geschichte Groß-Berlins
Oleg Peters
Vom Gewerbegebiet Lichtenberg-Nord-Ost zum CleanTech Business Park
Christa Hübner
Ohnweit Berlin. Franz Carl Achard und Kaulsdorf
Zum 200. Todestag
Anette Kio Wilhelm
Paul Großmann als typischer Berliner seiner Zeit
Paul Großmann
Gedichte über Mahlsdorf
Karl-Heinz Gärtner
Aus der Postgeschichte von Mahlsdorf
Jürgen Wolf
Pioniere des Windstroms – Die Marzahner Müllerfamilie Triller
Eine wiederentdeckte märkische Technikergeschichte
Wolfgang Brauer
Tatort Marzahn. Marzahn-Hellersdorf in Filmen der Serie „Polizeiruf 110“
Renate Schilling
Kitas in Marzahn-Hellersdorf: Errichtung – Umnutzung – Abriss – Neueinrichtung ab Mitte der 1970er-Jahre
Wolfgang Brauer
Ausstellungen 2019
Wolfgang Brauer
Chronik 2019
Abbildungsnachweis
Autorinnen und Autoren
Vorwort
Vor Ihnen liegt der 2. Band des „Historischen Jahrbuches Marzahn-Hellersdorf“. Gegenüber der ersten – inzwischen fast vergriffenen – Ausgabe ist er deutlich umfänglicher ausgefallen. Das betrifft sowohl die Seitenzahl als auch die Palette der vorliegenden Aufsätze.
Im Zentrum stehen die Beiträge des „Tages der Regional- und Heimatgeschichte 2020“. Die Veranstaltung sollte am 31. Oktober 2020 stattfinden und fiel leider den pandemiebedingten Beschränkungen zum Opfer. Desto dankbarer sind wir, dass alle Referentinnen und Referenten uns ihre Beiträge dennoch in der hier vorliegenden Form zu Verfügung stellen.
Wir hatten unsere Konferenz unter das Thema „100 Jahre Groß-Berlin“ gestellt und wollten die vielfältigen Beziehungen zwischen unserer Region und dem großstädtischen Beziehungsfeld, in den diese eingeordnet ist, darstellen. Uns ging es darum aufzuzeigen, dass der in der Region durchaus umstrittene Beitritt zur neuen Stadtgemeinde Berlin seitens unserer „Dörfer“ und Gutsbezirke mehr war als „ein längst überfälliger, gleichsam nachholender Akt der verwaltungsmäßigen Neuordnung“.1 Darauf, dass der jetzige Zustand unseres Bezirkes als pulsierende de facto „Großstadt“ innerhalb der Metropole Berlin ohne die dank der „Gunst des Augenblickes“2 in der kurzen Zeit nach der Novemberrevolution 1918/19 getroffenen Entscheidungen nicht denkbar ist, weist Dagmar Pohle in ihrem Einführungsbeitrag hin. Die Bezirksbürgermeisterin bilanziert Soll und Haben dieses Prozesses und macht darauf aufmerksam, dass aufgrund der aktuellen Entwicklungen Berlins und seines Umlandes – Stichwort TESLA-Ansiedelung in Grünheide – Entscheidungen anstehen könnten, die in ihren Auswirkungen denen der frühen 1920er Jahre nicht nachstehen würden. Wolf R. Eisentraut reflektiert diese Entwicklungen unter stark stadtplanerischer Akzentuierung in ihren historischen Dimensionen. Eine Besonderheit seines Beitrages ist die vergleichende Betrachtung von Marzahn-Hellersdorf und des seinerzeitigen „Wende-Partnerbezirkes“ von Marzahn, des heutigen Stadtbezirkes Steglitz-Zehlendorf, anhand zweier Ortsteile, nämlich Biesdorf und Lichterfelde. Dass dieser Vergleich nicht unbedingt zugunsten Biesdorfs ausfällt, hat durchaus mit stadtplanerischen Versäumnissen der letzten Jahrzehnte zu tun. Aber auch Eisentraut wagt einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.
Selbst scheinbar spontan zustande gekommene Entscheidungen haben Entwicklungen im Vorlauf zur Basis. Sonst werden sie über kurz oder lang vom Leben korrigiert und fallen dem Vergessen anheim. Auch das „Gesetz über die Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin“ vom 27. April 1920 ist nicht einem Augenblickseinfall des Berliner Oberbürgermeisters Adolf Wermuth zu verdanken – ohne den es aber wahrscheinlich so nicht zustande gekommen wäre.3 Karin Satke beschreibt in ihrem Beitrag den langen Weg über die 1911 erfolgte Bildung eines Zweckverbandes Groß-Berlin bis zur Stadtgemeinde Groß-Berlin, der seinerzeit zweitgrößten Stadt der Welt, wie sie bilanzierend feststellt. Christa Hübner und Dorothee Ifland zeigen auf, dass der um das „Groß-Berlin-Gesetz“ herum abgelaufene „Eingemeindungsprozess“ – in unserem Falle konkret nach Berlin-Lichtenberg – mitnichten reibungslos ablief. Neben erheblichen Widerständen im Vorfeld gab es auch auf dem Territorium unseres Bezirkes ein nicht zu unterschätzendes „Ausgemeindungsbegehren“, das im Falle des ehemals eigenständigen Dorfes Marzahn mit kommunalpolitischen Forderungen verbunden war. Kenner der jüngsten Lokalgeschichte wissen, dass sich Ähnliches – in wesentlich kleinerer Dimension – zu Beginn unseres Jahrhunderts in Marzahn-Nord wiederholt hat.
Die Nagelprobe für die Tragfähigkeit der in manchen Augen rein verwaltungspolitischen Entscheidung der Preußischen Landesversammlung vom April 1920 waren auch in unserer Region die 1920er Jahre, die Zeit der Weimarer Republik. Diese Zeit ist immer noch Gegenstand heftiger geschichtspolitischer Auseinandersetzungen. Monika Rank untersucht die in jenen Jahren auch im späteren Marzahn-Hellersdorf spürbaren Fortschritte im Wohnungsbau, in der Schulpolitik – in Kaulsdorf etablierte sich ein bis in die USA aufmerksam registriertes Reformprojekt –, bei der Entwicklung der sozialen Einrichtungen bis hin zur verkehrlichen Infrastruktur und zum Handel. Constanze Lindemann richtet ihr Augenmerk auf die Entwicklung der von Anbeginn als Gesamtberliner Einrichtung fungierenden „Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten“, dem späteren „Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus“. Schwerpunkt ihres Beitrages sind die in der NS-Zeit auch in der Biesdorfer Einrichtung erfolgten massenweisen Krankenmorde im Rahmen des sogenannten „Euthanasie“-Programms der Nazis. Ein ganz anderes Thema spricht Oleg Peters an. Er untersucht in seinem Beitrag die Entwicklung Marzahn-Hellersdorfs als Industriestandort. Dabei spannt er den Bogen vom Hobrecht-Plan, der zur Anlage der städtischen Rieselfelder führte, bis hin zur gegenwärtigen Entwicklung des CleanTech Business Parks an der Bitterfelder Straße, dem mit 90 Hektar Gesamtfläche größten Industrieareal Berlins.
Mit technischen Innovationen, die eng mit Marzahn-Hellersdorf verbunden sind, befassen sich Christa Hübner und Jürgen Wolf. Christa Hübner legt eine Darstellung der Biografie und der Forschungen Franz Carl Achards vor, dessen Todestag sich 2021 zum 200. Male jährt. Achard entwickelte in Kaulsdorf die Grundlagen der industriellen Herstellung von Rübenzucker. Jürgen Wolf wiederum, langjähriger Marzahner Müller, schildert die von ihm in den Jahren zwischen 2006 und 2017 vorgenommenen Grabungsarbeiten auf dem Gelände der ehemaligen Trillerschen Mühle an der heutigen Allee der Kosmonauten. Es gelang ihm, die Überreste von Berlins ältestem Windkraftwerk, dessen Geschichte er auch nachzeichnet, zu bergen. Es ist sehr zu wünschen, dass seine Arbeiten eine qualifizierte Fortsetzung finden. Karl-Heinz Gärtners Beitrag hingegen beschäftigt sich mit einem aufgrund technischer und politischer Entwicklungen im Kommunikationsbereich fast abgeschlossenen Kapitel der Mahlsdorfer Kulturgeschichte, mit der Geschichte des dortigen Postwesens – einem wichtigen Bestandteil der kommunalen Infrastruktur, das einem in der Regel erst auffällt, wenn wieder einmal eine Post-Filiale nicht mehr vorhanden ist.
Zu den vielen Ausstellungen, die durch die erwähnten Corona-Beschränkungen erheblich an Resonanz litten, gehört auch die Sonderausstellung „Mahlsdorf bleibt Mahlsdorf“ unseres Bezirksmuseums, die sich mit einer lokalen Legende beschäftigte, dem Mahlsdorfer Heimatforscher und Poeten Paul Großmann. Annette Kio Wilhelm, Kuratorin der Ausstellung, hat in einem anregenden Essay das Leben dieses oft zitierten, aber als Persönlichkeit kaum bekannten Lokalhistorikers beschrieben. Natürlich zitiert sie auch einige seiner poetischen Erzeugnisse. Christa Hübner hat eine kleine Blütenlese der Mahlsdorf-Gedichte von Paul Großmann zusammengestellt, die sicherlich eine begeisterte Leserschar – bestimmt nicht nur in Mahlsdorf – finden werden. Die dichterische Qualität möge jede und jeder für sich beurteilen.
Der Filmpublizist Klaus-Dieter Felsmann stellt in einer Untersuchung über den DEFA-Film als „Quelle zeitgeschichtlicher Deutung“ – so der Untertitel seines Buches – fest, dass die „Filmemacher der DEFA den unisono erhobenen Anspruch, über die sie umgebende gesellschaftliche Realität mit größtmöglicher Wahrhaftigkeit zu erzählen, in ihren Arbeiten umgesetzt“4 hätten. Das gilt mit Abstrichen auch für die Filmproduktion des DDR-Fernsehens, vor allem für dessen Krimi-Reihen. Wolfgang Brauer hat sich unter diesen Gesichtspunkten die Widerspieglung Marzahn-Hellersdorfs in Filmen der Reihe „Polizeiruf 110“ vorgenommen und stieß auf in unterschiedlichen Zeiten mehrfach gebrochene Realitäten.
Gleichsam in Fortsetzung ihrer in Heft 9 unserer „Beiträge zur Regionalgeschichte“ veröffentlichten Untersuchungen zur Geschichte der Schulstandorte unseres Bezirkes legt Renate Schilling eine Übersicht über die Entwicklung der Kindereinrichtungen Marzahn-Hellersdorfs seit den 1970er Jahren vor. Auch hier sind Gewinn und Verlust deutlich ablesbar. Wie im vorjährigen Jahrbuch angekündigt, veröffentlichen wir in diesem Band eine Chronik des Jahres 2019, diesmal ergänzt um eine Übersicht der im Bezirk stattgefundenen Ausstellungen zu Kunst und Geschichte.
Die Herausgeber hoffen sehr, dass unser diesjähriger historischer Almanach vielfältige Verbreitung findet. Wir danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge, ebenso den Persönlichkeiten und Institutionen, die uns die Nutzung ihrer Bildquellen gestatten. Mein Dank gilt dem Redaktionsteam und allen, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen, besonders den Mitarbeiterinnen des Bezirksmuseums. Ebenso danken wir Waldemar-Vicenty Seifert für die wie immer ausgezeichnete Gestaltung. Wir danken dem Senator für Kulturelle Angelegenheiten und dem Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin für die finanzielle Unterstützung bei der Herstellung unseres Jahrbuches. Für Hinweise, Kritiken und Vorschläge, natürlich auch für Bild- und Textangebote für das „Historische Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2021“ sind wir dankbar.
Wolfgang Brauer
Vorsitzender des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf e.V.
Berlin-Biesdorf, 1. Dezember 2020
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1 Andreas Ludwig/Gernot Schaulinski, Metropole Berlin. Traum und Realität 1920/2020, Berlin 2020, S. 132.
2 Ebenda.
3 Maritta Tkalec, Adolf Wermuth: Der Berlin-Groß-Macher, in: Berliner Zeitung vom 2. März 2020.
4 Klaus-Dieter Felsmann, Inszenierte Realität. DEFA-Filme als Quelle zeitgeschichtlicher Deutung, Berlin 2020, S. 28 f.